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Dentalphobie, das bedeutet …

 

… jeden Tag morgens und abends mindestens zehn Minuten allein für die Zahnpflege aufzuwenden. Vier Minuten Zähne putzen. Zahnseide. Mundwasser. Zungenschaber. Mit dem Spiegel nachsehen, ob es passt .Es muss passen. Glänzen. Mundwasser, Zahnseide. Alles muss auf Vorrat da sein. Es darf nichts ausgehen, es muss helfen. Die teuren Sachen -sie helfen, sie schützen. Wenn etwas ausgeht und nichts da ist: Nervosität. Zu spät noch schnell einzukaufen. Stress. Morgen dafür doppelt!

Und was passiert, wenn es doch passiert? Wenn man versagt. Die Füllung bricht, der Zahn macht mucken. Man hat was falsch gemacht. Versagt. Es hat nicht gereicht.

Dentalphobie, das bedeutet dann…

… den Sprung in der Füllung zu bemerken. Es fühlt sich anders an als sonst, oder? … fünfzehn Minuten vor dem Badezimmerspiegel stehen. Verzweifelt versuchen, mit einer Taschenlampe und einem Spiegel das mit der Zunge ertastete Unglück zu finden. Man sieht nichts. Spiegel weg, umdrehen, doch noch einmal zurück zum Spiegel. Da ist doch was? Was ist passiert? Wo genau? Was hat man falsch gemacht? Bis die Minuten vergehen … bis der Partner rein kommt und einen sanft vom Spiegel weg holt. Was soll man auch tun, es ist ja Wochenende.

… dem Partner versichern, dass alles ok ist, während zwei Teile im Kopf miteinander ringen, schreien, zerfleischen: Muss man zum Zahnarzt? Ist der Schaden klein, kann man ihn ignorieren? Wird es schlimmer, wenn nicht? Was ist schlimmer? Der Zahnarzt oder die Ungewissheit? Werden Schmerzen folgen? Ist es dann zu spät? Kleine Nadeln, die sich in der Brust festsetzen und immer schlimmer werden. Gedankenkreisen. Angst. Panik. Weinen. Heulkrampf. Verzweiflung.

… der Partner besorgt ist. Hast du Schmerzen? Nein? Bist du ok? Nein? Kann ich was tun? Nein.

… dass Minuten zu Stunden werden. Hin und her. Man kann heute eh nicht anrufen. Wochenende. Auf morgen warten. Vielleicht geht’s weg? Bestimmt nicht. Vielleicht ist man selber weg? Wäre schön. Vielleicht wäre einfach weg sein, sterben, auch ok? Wenn man tot ist, dann muss man nicht zum Zahnarzt. Eigentlich eine schöne Alternative. Wie ein düsterer Schatten, der sich übers Denken legt. Und ein kleiner Teil der sagt: Bist du deppert? … Aber so beruhigend. Ein Ort ohne Angst, ein Ort ohne Zahnarzt. Ein Ort der Ruhe und der Stille.

… vom Moment der Entdeckung bis zum Schlafengehen daran denken. Wir schauen gemeinsam fern. Was passiert im TV? Ich habe keine Ahnung. Ich male mir aus, was der Zahnarzt machen wird. Alles dreht sich um meinen Zahn. Es ist der letzte Gedanke beim Einschlafen, der erste Gedanke beim Aufwachen. Die Nacht – schlafen kann man das kaum nennen – dauert ewig. Musik hilft. Aktiv an etwas Anderes denken. Schweißgebadet aufwachen. Der Wecker hat noch nicht geläutet. Vielleicht wars doch ein Albtraum? Der Defekt ist da. Der Albtraum Realität. Die Vorwürfe: Was habe ich falsch gemacht? Angst.

… mit klammen Fingern und belegter Stimme den Zahnarzt anrufen. Der Sprechstundenhilfe die Lage schildern. Also der Schaden. Nicht die Panik. Sie kennt mich. Sie weiß, was los ist, wenn ich anrufe. Ich bin „die Angstpatientin“. Ich bin die Patientin, die im Warteraum Stressbälle ruiniert. Die jahrelang keine Zahnreinigung machen konnte. Die das Fenster mit dem Baum draußen braucht, um sich abzulenken. Die zu heulen beginnt, wenn der Arzt freundlich sagt, dass er bohren muss. Die Anstrengende. Ah, eh die schon wieder. Heute noch Termin. Auflegen. Weinen. Aber man muss ja weiterarbeiten. Also macht man das. Man versucht es. Man gibt sein Bestes, auch wenn gerade ca. 80% des Gehirns mit einem beschäftigt sind: „Zahnarzt. Heute. 16:00. Noch 4 Stunden. Noch 3. Noch 2.“

… das bedeutet beim Zahnarzt zu sitzen und das Gelernte anzuwenden: Atemübungen, Entspannung, Stressball kneten. Es wird besser. Der Geruch ist ok. Die Masken der Menschen sind ok. Zahnarztstuhl. Ok. Fenster, Baum. Ok. Zahnarzt. (nicht) OK. Weiter entspannen. Atmen. Zuhören. Er muss bohren. Ok – weinen – beruhigen. Mein Zahnarzt kennt das schon. Spricht beruhigend auf mich ein. Spritze. Ok. Warten. Ok. Bohrer. (NICHT) OK. – beruhigen – atmen – ok. Dann der Fehler – kurzer Schmerz. AUS.

Ihr fragt euch jetzt,was bedeutet „AUS“ in diesem Fall?

AUS bedeutet, AUS für die Kontrolle, AUS für die Entspannung, AUS für mein ICH. Jetzt bin ich ICH und mein KÖRPER. Ich schaue meinem Körper zu, wie er (erneut) zu weinen beginnt. Die Tränen laufen. Der ganze Körper beginnt zu zittern, zu reißen. Instrumente raus, jetzt ist es gefährlich. Mein Arzt kennt das. Warten bis der Kiefer erstarrt, während der Rest zittert. Mein Körper kennt das auch. Er macht, was der Zahnarzt ihm sagt. Nur reden, reden kann er nicht mehr.

Meine Fähigkeit zu sprechen, ist bei mir, bei meinem ICH. Ganz tief drinnen und gleichzeitig ganz weit weg. Wie unter Wasser. Du registrierst den Schmerz, du spürst das Zittern, hörst das Wimmern deines Körpers. Du siehst den Zahnarzt und die Lampe. Das Heulen des Bohrers. Aber es geht dich nichts mehr an. Du bist weg. Weit weg. Und schaust zu.

 

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